Short Story – The Villain in me – Teil I

Ich war am Ende, schwach und verzweifelt.
Du hast mich immer noch getreten, als ich längst machtlos auf dem Boden lag.
Aber jetzt bin ich hier. Ich bin stärker und habe dich überstanden.
Das Wasser platschte sanft über den Rand des Pools hinaus. Meines Pools. Dieses beruhigende Geräusch durchbrach die Stille des ruhigen Morgens. Es war frisch draußen, aber nicht so kalt, dass ich auf meine morgendliche Schwimmstunde verzichten würde. Am Horizont lag bereits ein Streifen goldenes Licht und die Sonne würde bald aufgehen.
Meine Neubauvilla stand in keiner reichen Wohngegend und ich genoss es sehr, nicht neben wohlhabenden Snobs zu wohnen. Meine Nachbarn waren freundliche, hart arbeitende Menschen und sie stellten mir nie Fragen, womit ich mein Geld verdiente. Mir war das wichtig. Ich kannte die Snobs gut von meiner früheren Wohngegend, meinem früheren Leben, das schon lange zurück lag. Ständig fragten sie, ob man nicht mal zusammen Golf spielen und über das Geschäft sprechen sollte. Was ich tat, sollten sie nicht wissen.
Meine wichtigste Regel war: Sprich mit niemanden über das Geschäft.
Die zweite war: Gib immer für die Armen und Bedürftigen.
Als ich mich aus dem Pool hob, wrang ich meine Badehose etwas aus und rubbelte mir das kurze, schwarze Haar etwas mit einem Handtuch trocken. Das Innere des Hauses umfing mich mit leichter Jazzmusik und warmer Luft. Ich liebte diese langsamen Morgen. Sie gaben mir Zeit nachzudenken über das Leben, meine Vergangenheit und was ich noch alles erreichen wollte.
Ich zelebrierte den Beginn des Tages wie ein König und dachte an die Zeit zurück, an dem ich mir wochenlang nicht wirklich etwas zum Essen kaufen, geschweige denn eine heiße ausgiebige Dusche genießen konnte. Es war ein harter, langer Weg bis hierher gewesen.
Kurz vor acht Uhr war ich bereit für den Tag und stieg in meinen Bentley, der in meiner Garage auf mich wartete. Die Ledersitze schmiegten sich an mich und der Duft nach Neuwagen umhüllte mich. Mein Stiefvater würde sich mächtig ärgern, wenn er wüsste, was ich mir mit einem Teil seines Geldes gekauft hatte. Ich wünschte, er könnte es sehen. Nur war es sicherer für alle, wenn mehrere tausend Kilometer zwischen mir und meiner „Familie“ lagen. Ich hatte es zu weit mehr gebracht, als mein Stiefvater erwartet hätte – vor allem nachdem er und meine eigene Mutter mich auf die Straße gesetzt hatten. Manchmal fragte ich mich, ob meine Mutter es bereute und ob sie wohl je an mich dachte. Doch sobald die Gedanken aufkamen, versuchte ich sie schnell wieder loszuwerden. Ich wollte nicht an diese Menschen denken – an den Schmerz meiner Kindheit, an die Verlassenheit und das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Jeder noch so kleine Fehler wurde bestraft. Aber jeder machte doch Fehler, oder? Doch in den Augen meines Stiefvaters war jeder Fehler, egal wie klein, einer zu viel. Er hatte immer nach einem Grund gesucht, mich loszuwerden. Ich wusste, dass ich ihm aufgrund meines leiblichen Vaters nicht wohlhabend und adelig genug war. Und ich konnte es nie mit seinen Söhnen, meinen Halbbrüdern aufnehmen. In allem waren sie besser als ich.
Jetzt war ich aber kein Jugendlicher mehr, sondern Mitte zwanzig. Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich selber für mich verantwortlich war, als sich das Garagentor vor mir öffnete und ich langsam aus meiner Ausfahrt in Richtung Innenstadt fuhr.
Mein Büro lag zentral in der Banken Gegend. Ich hatte es gemietet, damit ich mir eine gewisse Tagesroutine erarbeiten konnte. Damit ich Menschen traf und mich zum Mittagessen verabreden konnte. Eigentlich brauchte ich es nicht. Ich könnte genauso gut von zu Hause aus arbeiten. Oft genug tat ich das auch. Zumindest wenn die Geschäfte in die heiße Phase kamen.
Beatrice, die Empfangsdame lächelte fröhlich, als ich das Foyer betrat. „Mister Young-Lee! Schön, Sie zu sehen. Es kam Post für Sie.“ Ich lächelte ihr charmant zu und sah, wie ihr etwas Röte in die Wangen stieg.
„Beatrice, meine Liebe. Ich sagte doch, Sie sollen mich James nennen.“
„Aber natürlich! Entschuldigen Sie James.“ Sie schluckte und reichte mir einen Stapel Briefe.
„Bis später!“ Ich schnappte mir den Briefstapel und visierte den Aufzug an, der mich in mein Büro im fünften Stock fuhr. Beatrice war die Empfangsdame für das komplette Bürogebäude. Da ich im Gegensatz zu manch anderen ansässigen Firmen keine Sekretärin hatte, war Beatrice so nett, meine Post anzunehmen und auch ab und zu Korrespondenzen für mich zu erledigen. Dabei bezahlte ich sie nicht dafür. Das war auch der Grund, warum ich niemals einen Flirt mit ihr vertiefen würde. Sie würde es aber gerne tun. Das und der Fakt, dass ich nicht an wahre Liebe glaubte. Beatrice aber sicher schon. Ich glaubte nicht daran, weil meine Mutter meinen Vater verließ, als er seinen Job verlor. Ich glaubte nicht an wahre Liebe, weil meine eigene Mutter immer hinter meinem Stiefvater stand und nicht zu mir. Womöglich weil er ihr Sicherheit und einen gewissen Lebensstandard bieten konnte.
Vor meinem Büro stand Thomas, der mir oft einen Kaffee mitbrachte und mit dem ich meist zum Mittagessen verabredet war. „Hey Jamie! Na, schönes Wochenende gehabt?“ Er klopfte mir auf die Schulter und unweigerlich spannten sich meine Muskeln an. Alles gut. Ich bin in Sicherheit, versuchte ich meinen verspannten Muskeln zu erklären.
„Klar, schön ruhig. Und deins?“ Das war es wirklich gewesen. Kein Social Media, kein Fernseher, keine Menschen. Nicht einmal mein Handy. Nur ich, mein Training, das Schwimmen, Musik, gutes Essen und eine Flasche Wein.
„Richtig gut! Du hättest zum Spiel mitkommen sollen.“
„Nächstes Mal. Hast du später Lust auf Italienisch?“ Er nickte und ging in sein angrenzendes Büro.
Ich setzte mich in meins und schaltete meinen Rechner an. Eine Erinnerung poppte auf und ich öffnete meinen Kalender. Heute Abend stand eine Wohltätigkeitsveranstaltung an. Seufzend griff ich zum Telefon und wählte die Nummer.
„Dreamhome for Childcare, Elissa hier, wie kann ich ihnen helfen?“, tönte etwas blechern eine kratzige Stimme aus dem Telefon.
„Elissa, hier spricht James Young-Lee. Ich habe gerade gesehen, dass leider ein wichtiger Geschäftstermin mit der heutigen Veranstaltung kollidiert. Ich muss mich entschuldigen.“
„Oh, Mister Young-Lee! Wie schade! Aber das ist doch gar nicht weiter schlimm. Es ist ja nur eine kleine Veranstaltung.“
„Elissa, es tut mir trotzdem wahnsinnig leid. Würden Sie bitte Mrs Crouch mitteilen, dass ich verhindert bin, aber meine Spende hat sie heute erhalten.“ Ich tippte senden und so verschwanden 10.000 Dollar von meinem Konto.
„Aber selbstverständlich werde ich ihr das mitteilen! Vielen Dank für ihren Anruf. Sie hätten auch einfach eine Mail schreiben können.“
„Ich weiß Elissa, aber es ist mir unfassbar wichtig. Ich hoffe, Sie verbringen einen wunderbaren Abend. Bis dann.“ Ich legte auf und hörte noch ihr Seufzen. Ich war gerne ein Wohltäter, schließlich war das der Grund für das, was ich tat. Um Bedürftigen etwas zu geben. Etwas, das ich auch gebraucht hätte, als mein Stiefvater mich mit 16 Jahren auf die Straße setzte und ich auf mich alleine gestellt war. Obdachlos und ohne Geld. Ohne Kleidung. Ohne Essen. Ausgestoßen, weil ich mich nicht mehr zurückgehalten hatte. Die Prügel nicht mehr ertragen hatte.
Dabei im Mittelpunkt stehen wollte ich aber eher nicht. Nur einmal im Jahr, an Weihnachten, da nahm ich mir nicht nur Zeit für einen großzügigen Scheck, sondern auch Zeit für Waisenkinder, Obdachlose oder Kranke. Mein Weihnachtsfest war immer ein Fest des Gebens.
Ich widmete mich meinen Geschäften und ehe ich mich versah, war bereits Mittagszeit und Thomas stand vor meiner Tür.
„Wollen wir los? Oder brauchst du noch einen Moment?“
Ich schnappte mir mein Handy und stand auf. „Lass uns gehen!“ Als wir bei unserem Lieblingsitaliener saßen, fragte ich: „Wie laufen die Geschäfte, Thoms?“ Thomas verzog das Gesicht, er war Kundenberater in einer kleinen Bank, die ihren Sitz in meinem Bürokomplex hatte. „Ah, na ja. Es läuft ganz in Ordnung.“ Er wirkte etwas niedergeschlagen. „Stimmt etwas nicht?“ Thomas winkte ab.
„Ach, die üblichen kleinen Probleme mit den Kunden.“ Er schien nicht wirklich über das Problem reden zu wollen, also lasse ich es sein. Später im Büro erledigte ich noch einige Telefonate. Der Tag zog schnell an mir vorbei und ich kehrte zurück nach Hause.
Der nächste Tag startete verregnet. Doch auf meine morgendliche Schwimmstunde verzichtete ich trotzdem nicht. Wenn ich eines von der Erziehung meines Stiefvaters gelernt hatte, dann war es Selbstdisziplin. Auch wenn er in allen anderen Dingen sicher kein Vorbild für mich war, hatte er mir immer vermittelt, dass Selbstdisziplin unweigerlich zu Erfolg führte und ich sie angeblich nicht besaß. Doch das tat ich sehr wohl.
Mein eiserner Willen war auch der Grund, warum ich schnell aus der Obdachlosigkeit rauskam. Ich nahm mehrere Jobs an, obwohl ich kein Zuhause hatte. Das verdiente Geld legte ich zur Seite, gab kaum etwas aus, wusch mich in Obdachlosenheimen, besaß nichts und nutzte alles verdiente Geld, um meinen Stiefvater zu verklagen. Ihm einen Teil seines Geldes abzunehmen. Mir das zu holen, was mir gehörte. Heute trug ich die Früchte meiner Selbstdisziplin und genoss einen ruhigen Morgen, genauso ruhig wie immer.
Als ich im Büro saß, klingelte nach einer Weile mein Telefon. Ich erkenne die Nummer nicht, aber das war nicht ungewöhnlich. Die Stimme am anderen Ende erkannte ich jedoch sofort:
„James, wir sollten Kaffee trinken gehen.“ Claudio klingt nervös und sonst ist er das nie. Also habe ich Grund, besorgt zu sein, versuche aber trotzdem nicht gleich in den Fluchtmodus zu wechseln.
„Was ist los?“, entgegne ich also gelassen.
„Mach Urlaub. México soll ganz nett sein.“ Panik durchfährt mich. Alles, was ich mir aufgebaut habe, steht plötzlich auf wackligen Beinen.
„Wer ist uns auf den Fersen?“
„Ich kann es dir nicht genau sagen. México, James.“ Es tutet in der Leitung. Ich nehme mein Handy und schalte es ab. Eigentlich sollte ich überhaupt keine Fragen stellen, denn Claudio würde mich niemals am Telefon aufklären. Ruhig schalte ich meinen Rechner aus, gehe an den Wandschrank, schließe ihn auf und nehme meinen Trolley heraus. Für solche Notfälle habe ich immer einen gepackten Koffer. Nicht einmal bei Thomas verabschiede ich mich. Den Bentley lasse ich einfach in der Garage stehen und nehme mir ein Taxi. Auf dem Weg zum Flughafen überlege ich, welches meiner Geschäfte gerade in die falsche Richtung lief. Claudio würde mich mit Sicherheit in Kürze darüber aufklären, sobald ich ihn traf. Nur würde ich nicht nach México fliegen. Claudio war ein sehr geschickter Technikfreak, den ich mit ins Boot genommen hatte und der mir bei meinen Geschäften Rückendeckung und die nötige Sicherheit gab. Er verschleierte Konten, verwischte Spuren und kannte jede Möglichkeit, um unentdeckt das Land zu verlassen. México war also nicht das Land. Nein, México war ein Privatjet, den er mir gebucht hatte und der jetzt schon auf der Startbahn am Flughafen auf mich wartete um mich an meinen Zielort zu bringen. Die Stewardess nahm mein Gepäck entgegen und folgte mir ins Innere des Jets. Während sie mir einen Sekt reichte, machte ich es mir in dem weichen Ledersessel bequem.
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