Short Story – The Villain in me – Teil II

Als ich in San Francisco landete, war es bereits später Nachmittag. Auf der Rollbahn wartete schon eine Limousine auf mich. Claudio saß entspannt auf der Rückbank, als ich mich neben ihn gleiten ließ. „Hi. Wir checken gleich im Cavallo ein. Du musst eine Weile untertauchen. Smartphone aus. Alle IP-Adressen auf reset.“ Er tippte unablässig auf seinem Laptop herum. Normalerweise fehlte mir mein Handy nicht. Doch irgendwie, fand ich es eigenartig einfach so von der Bildfläche zu verschwinden. Ich hatte einige wichtige Deals laufen und mich von diesen zu trennen war extrem schwierig. Denn zu Ghosten gefährdete das ganze aufgebaute Vertrauen. „Für dich gilt kein Verbot? Sehe ich das richtig?“ Meine Stimme klingt etwas gereizt, dabei bin ich ihm dankbar. Doch Claudio kannte meine Launen. Dass ich mal aufbrausend reagierte, war also nicht unüblich für ihn. Also runzelte er nur unbeeindruckt die Stirn und entgegnete: „Ich habe noch keine Spur. Aber die Wege zu dir persönlich sind verwischt. Alles ist gekappt.“

„Du meinst auch mein Account ist gelöscht? Soll das heißen, ich muss von vorne anfangen?“ Gehetzt starre ich ihn an. Die ganze Arbeit umsonst. Das umwerben der vielen Frauen, die erfundenen Geschichten über meine angebliche Großmutter, über meine Mutter, meinen Freund, meinen Hund, für die ich irgendwann Geld brauchen würde. Alles umsonst? Bevor sich meine Gedanken noch weiter in graue Wolken schlichen, beruhigte Claudio sie jedoch: „Keine Sorge. Dein Robinson Account existiert noch. Ich weiß wie lange du gebraucht hast um ihn einigermaßen glaubwürdig hinzubekommen. Du solltest trotzdem ungefähr drei Wochen untertauchen. Dann beruhigt sich die Lage wieder. Ich denke nicht, dass einer deiner ehemaligen oder aktuellen Kontaktpersonen der Auslöser war. Es ist eher das Transaktionskonto. Wir müssen es ändern und die weiteren Zahlungseingänge verschleiern.“

Das war gut. Ärgerlich, aber gut. Ich müsste nicht schon wieder von vorne anfangen. „Okay, dann habe ich ja genügend Zeit mir eine Ausrede einfallen zu lassen.“ Meine Gedanken wanderten mit der vorbeiziehenden Landschaft zu einer ganz bestimmten Person. Monica. Ich hatte gerade erst Vertrauen zu ihr aufgebaut. Sie hatte mir erzählt, sie hätte heute eine wichtige Präsentation bei der Arbeit. Ganz große Sache. Sie hasste Präsentationen. Ich hatte ihr sogar vorgeschlagen gemeinsam zu üben. Ich dachte sogar, ich hätte sie fast dazu gebracht endlich mit mir zu telefonieren. Und jetzt ließ ich sie allein. Bei ihr müsste ich mir eine sehr gute Ausrede überlegen. Nach einer Fahrt über die Golden Gate Bridge tauchte schon das Boutique Hotel Cavallo auf. Es würden lange drei Wochen werden, doch zumindest konnte ich mich hier mit Aktivitäten wie wandern oder Radfahren ablenken. Trotz des historischen Gebäudes waren die Zimmer modern eingerichtet. Mein Zimmer lag direkt neben Claudios und hatte einen Ausblick auf den Pool. Es war das erste Mal, dass wir hier waren. Claudio hatte es sicherlich aufgrund hervorragender Diskretion, der Naturnähe und den Freizeitmöglichkeiten ausgesucht. Es war absolut hervorragend. Das letzte Mal war ich in einem Hotel gelandet, welches sich mitten in der Stadt befand. Ich hatte es nach einem Tag schon satt, durch die Läden zu bummeln und die überfüllte Stadt zu besichtigen. Doch dieses Hotel hier, daran könnte ich mich gewöhnen. Da war ein Zwangsurlaub gar nicht mal so schlimm.

„Wie ist die Lage?“ Es war eine Woche vergangen. Claudio hatte noch nicht die Ursache für unser Untertauchen beheben können. Er saß in seinem Zimmer und tippte unablässig auf seinen Laptop ein. Der Schreibtisch sah aus wie eine Kommandozentrale. Es war hier drin ziemlich unordentlich, doch das schien ihn überhaupt nicht zu stören. „Ich denke ich kann bald neue Transaktionskonten mit Mittelsmännern einrichten. Es wird etwas länger dauern, bis das Geld dann bei dir ankommt, aber zumindest bleibt so deine Identität geschützt.“ „Das hört sich gut an. Was ist mit meinem Account auf den Social-Media-Kanälen?“ Das ganze warten machte mich extrem nervös. „Alles sicher. Keinerlei Auffälligkeiten.“ „Gut, dann könnte ich mich ja einloggen und die Funkstille beenden.“ Ich schnappte mein ausgeschaltetes Handy aus meiner Hosentasche. Seit einer Woche schleppte ich es mit mir herum. Bevor ich den Anschaltknopf drücken konnte, schnappte Claudio es mir aus der Hand. „Vergiss es. Ich muss erst die alten Transaktionskonten vollständig von deinem Account entkoppeln. Du machst mir nur mehr Arbeit, wenn ich auch noch deine IP-Adressen verschlüsseln muss.“

Ich hechtete nach vorn und versuchte mir mein Handy zu schnappen. Sollte er doch Mehrarbeit haben, schließlich wurde er gut dafür bezahlt und Leute verließen sich auf Spendengelder von mir, die ich erwirtschaften musste. Claudio war zwar klein, aber ziemlich wendig und sehr schnell. Ehe ich ihn in den Schwitzkasten nehmen konnte, hechtete er zur geöffneten Balkontür und warf das Smartphone im hohen Bogen in den Pool unter uns. Mit einem lauten Platschen landete es mitten im Wasser und sank bis auf den Grund. „Ich kauf dir ein Neues.“, war das einzige, dass er murmelte, bevor er mich aus seinem Zimmer schmiss und mich wieder mit meinen Gedanken alleine ließ.

Es war unfassbar warm draußen. Meine Schwimmrunde hatte ich bereits hinter mir. Auf Wandern hatte ich absolut keine Lust, also mietete ich mir an der Rezeption ein Bike um etwas zu radeln und den Fahrtwind zu genießen. Als ich an der Aussichtshütte ankam, war diese schon überfüllt, aber ich wollte mir ein Getränk gönnen. Der Schweiß rann mir den Körper hinab. Ausdauerschwimmen war mir viel lieber. Vor allem hasste ich es aber, so verschwitzt wie ich war neben anderen Menschen zu sitzen. Also nahm ich mir etwas an der Bar und setzte mich in die Hütte, statt draußen auf die überfüllte Terrasse.

„James?“ Eine Frauenstimme rief vom Eingang aus meinen Namen. Shit. Es war absolut nicht der Plan jemanden zu treffen, der mich kannte. Die Frau war groß und blond. Sie kam mir überhaupt nicht bekannt vor, also war sie wohl ein „Geschäftskontakt“.

„Hi, Süße.“, entgegnete ich ihr also auf gut Glück. Sie strahlte mich an und kam schnellen Schrittes zu mir herüber.

„Gott, ich dachte schon dir wäre etwas passiert! Wie geht es deiner Großmutter? Hat sich der Fall aufgeklärt?“ Mist! Eines musste ich meiner Strategie lassen: Die Geschichten waren einprägsam, sorgten für Anteilnahme und normalerweise hinterfragte niemand sie.

„Oh, nein leider nicht. Der Fall ging weiter an das Gericht. Keiner will ihr glauben. Sie sitzt noch im Gefängnis. Aber sie dankt jedem für die Mithilfe an ihrem Fall.“ Inoffizielle Wahrheit: Das Geld ging an einen Verein, der Menschen half, Rechtsbeistand in Anspruch zu nehmen, die es selber nicht bezahlen konnten.

„Oh nein, das ist ja schrecklich.“ Sie sieht mich mit großen Augen traurig an.

„Ja, wirklich. Ich muss leider los. Schön dich gesehen zu haben.“ Ich erhob mich von meinem Barhocker und legte dem Barkeeper ein paar Dollar auf den Tresen. Doch eine Hand landete auf meinem Oberarm.

„Warte mal. Dein Account ist doch noch der hier oder?“ James-Robinson. Mein Profilbild leuchtete mir von ihrem Handy entgegen. Ein paar Beiträge von Berglandschaften, Konzerten und mir von hinten am Strand.

Klar.“, antwortete ich.

„Aber gib mir doch einfach deine Handynummer! Dann können wir uns mal verabreden.“ Sie lächelte charmant.

Niemals, dachte ich. „Oh, super gerne. Aber mein Handy ist mir in den Pool gefallen. Ich muss mir eine neue Nummer anlegen. Wenn ich zurück bin, melde ich mich bei dir.“ Ich nahm ihre Hand in meine und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihre Pupillen weiteten sich und ich nutzte den Überraschungseffekt um schnell die Hütte zu verlassen. Claudio musste herausfinden, wer sie war und sie umgehend blockieren. Die Welt schien groß, aber sie war ein Dorf!

Zurück im Hotel hämmerte ich sofort an Claudios Zimmertür. „Wie wäre es mit einem Kaffee? Hast du Milch und Zucker?“ Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, zerrte er mich schon in sein Zimmer und verriegelte die Tür, dann hechtete er zu den Fenstern, schloss sie und zerrte alle Vorhänge zu. Er nahm ein Gerät und drückte ein paar Knöpfe, dann surrte es im Hintergrund. Als ich mich auf den Sessel ihm gegenübersetzte, nickte er mir zu. Wir hatten im Laufe der Jahre eine Geheimsprache entwickelt und Kaffee stand definitiv für ein Problem. „Frau, blond, ziemlich groß. Großmutter, Anwalt. Hütte am Aussichtspunkt.“ Claudio starrte mich entsetzt an und verdrehte dann die Augen. Die Informationen schienen ihm gar nicht zu gefallen. „Du bist sowas von ein Arsch. Name?“ „Keine Ahnung, Mann. Wenn ich es wüsste, würde ich es dir erzählen. Sie hat auf jeden Fall noch Zugriff auf meinen Account, ob nur eingeschränkt konnte ich nicht sehen.“ Claudio klatschte sich mit der Hand auf die Stirn. Er hatte recht, ich konnte mich an viele Kontakte nicht mehr erinnern. Es waren einfach zu viele. Die meisten Fälle liefen gleich ab. Freundschaft schließen, Aufmerksamkeit schenken, ihnen von meiner schlimmen Vergangenheit erzählen oder ihnen eine meiner anderen Geschichten auftischen. Ein Problem erfinden, bei dem ich Geld brauche und sie dazu bringen, es auf eins meiner Transaktionskonten zu überweisen. Für mich hob sich keiner von ihnen wirklich ab. Sie waren alle gleich, mal blond, mal brünette, mal rothaarig. Warum sollte ich mir also wirklich Details merken, wenn der Fall erledigt war? „Du Idiot! Und du bist nicht auf den Gedanken gekommen dir ihren Account anzusehen? Ein Klick, Jamie! Ein scheiss Klick!“ Wutentbrannt sprang Claudio von seinem Sessel und setzte sich an seine Kommandozentrale. Shit, er hatte Recht. Aber vor lauter Panik, dass meine Deckung aufgeflogen wäre und der Erleichterung, dass mir diese Frau wohl nicht böse gesinnt war, hatte ich daran nicht gedacht. Während Claudio die Auswahl eingrenzte überlegte ich, ob mir noch etwas einfiel. Private Treffen waren bisher nie passiert, aber mein Account verfügte über ein Profilbild. Und ja, ich hatte auch ab und an mal Bilder von mir gepostet. Das machte den Account nun mal vertrauenswürdig. Normalerweise suchte Claudio Accounts, die nicht in meiner Nähe wohnten, damit es hier keine Überschneidung gab. Ich arbeitete nur unter meinem falschen Namen – James Robinson. Vielleicht kam sie aber auch aus San Francisco, das war gut möglich. Ich musste vermutlich mit ihr telefoniert haben. „Check mal die eingehenden geblockten Anrufe. Sie hat gemeint, sie konnte mich nicht erreichen.“ Claudio nickte. Nach ein paar Minuten rief er: „Sieh an, Jamie der Herzensbrecher. Komm her, ist sie das?“ Ich erhob mich und stellte mich hinter ihn. Auf dem Bild lächelte mir die blonde Frau entgegen. Pinky_Rose. Was für ein Scheiss! 23 geblockte Anrufe über das System. Leicht übertrieben, aber wer konnte es ihr schon übelnehmen. Rose war also die hübsche Blonde. Account voller protziger Kleidung, Pferderennen, schickem Auto, blinkenden Schmuck. „Jackpot, das ist sie. Ich glaube, ich sollte ihr nochmal schreiben.“ Dollarzeichen schienen hinter meinen Augen zu leuchten. Das war die nächste Stufe. Ein Treffen, eine weitere Bitte für meine Großmutter. Sie würde mir sowas von in den Händen zerfließen und mich mit Geld bewerfen. Sie schien es sowieso einfach aus dem Fenster zu werfen. Warum also nicht für gute Zwecke ausnutzen? „Bist du dir sicher? Das ist nicht gerade klug. Private Treffen sind eine komplett andere Nummer.“ „Ganz sicher. Sie liegt mir zu Füßen, noch ein Deal und dann tauchen wir bei ihr komplett unter.“ Er nickte und setzte Pinky_Rose zurück auf meine Kontaktliste.

Die nächsten Wochen nutzte ich, um meinen Plan auszuarbeiten. Pinky_Rose kam tatsächlich aus San Francisco und Claudios Recherchen zufolge hatte sie einiges an Geld durch ihr Familienvermögen. Perfekt für mich zum Üben.

Die schillernden Lichter des Four Seasons flimmerten warm, während sich mein Innerstes kalt zusammenzog. Pinky_Rose war mein Probelauf. Mit falschen Dokumenten hatte ich nach Claudios Abreise hier eingecheckt. Es war nur ein Spiel und ich wollte wissen, wie weit ich gehen konnte. Ich atmete tief durch, zog mein neues Handy aus der Tasche und überprüfte Claudios Nachricht. Das Spiel konnte weitergehen. Pinky_Rose eröffnete mir die Welt der Reichen. Und ich wurde zum Retter der Armen und Bedürftigen. Während ich als Robinson das Geld einsammelte, wurde ich als Young-Lee der große Wohltäter. Ich konnte Gutes tun und wirklich etwas bewirken. Ich tat mit dem Geld der Reichen, für was sie sich zu schade waren.

Doch im Grunde wollte ich mit ihr nur eines beweisen: Treffen waren möglich, manchmal notwendig. Es war mein Spiel, dass ich spielte – Aufmerksamkeit, Charme und Täuschung. Ich wollte es weiterspielen. Monica war mein nächstes Ziel. Egal, wie sehr ich mich danach sehnte, ehrlich zu ihr zu sein, dass war keine Option. Und auch wenn ich mich manchmal fragte, ob es richtig war, wusste ich, dass ich nicht aufhören konnte. Nur wenn ich weitermachte konnte ich meinen Plan verwirklichen.

Bild von freepik

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